Trotz Einsatz technischer Hilfsmittel wie z.B. Hörgeräten können gravierende Verständnisschwierigkeiten gegeben sein, die Betroffene in Gerichtsverfahren daran hindern, auf gleicher Augenhöhe mit normal Hörenden ihre Rechte verfolgen zu können. Auch neben einer anwaltlichen Vertretung ist es z.B. entscheidend, dass eine hochgradig hörbehinderte Frau jedes Wort versteht, das ihr Mann in der Scheidungsverhandlung sagt oder ein ertaubter Vater alles versteht, was der Sachverständige in der Verhandlung zur Obsorge über seine Tochter sagt. Hochgradig hörbehinderte oder ertaubte Menschen, die nicht die Gebärdensprache beherrschen, sind in einem solchen Fall auf die Verschriftlichung des gesprochenen Wortes durch eine:n Schriftdolmetscher:in angewiesen. Das Mitlesen des in Echtzeit zur Verfügung gestellten Textes auf einem Monitor oder Tablet sichert, dass die/der hörbeeinträchtigte Kläger:in, Beklagte:r, Zeuge oder Zeugin oder das hörbeeinträchtigte Opfer kein Wort der mündlichen Verhandlung entgeht.
Die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert in Art. 6, dass jede:r vor Gericht die Verfahrenssprache versteht. Dies inkludiert auch Maßnahmen zugunsten von hörbeeinträchtigten Menschen. Art. 13 UN-Behindertenkonvention trägt den Staaten auf, barrierefreie Rechtsverfahren sicherzustellen, damit Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksamen Zugang zum Recht haben. Gemäß Art. 7 des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Österreich bekennt sich zur Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen.
In Österreich sehen die Verfahrensgesetze im Justizbereich erfreulicherweise schon klare Regelungen für den Einsatz von Gebärdendolmetscher*innen für hochgradig Schwerhörige bzw. für Gehörlose vor. Leider finden sich jedoch keine vergleichbar eindeutigen Gesetzesbestimmungen für den Einsatz von Schriftdolmetscher:innen für hochgradig hörbehinderte Personen, die nicht die Gebärdensprache beherrschen (so spricht z.B. § 56 Abs. 7 Strafprozessordnung nur von gehörlosen Beschuldigten). Schriftdolmetscher*innen sind auch noch nicht in der elektronischen Sachverständigen- und Dolmetscher*innenliste (SDG-Liste), die vom Bundesministerium für Justiz geführt wird, aufgenommen. Dies hindert oft Betroffene, entsprechende Anträge auf Beiziehung von Schriftdolmetscher*innen zu stellen bzw. die einschlägigen Kosten für eine solche Kommunikationshilfe mit dem eigenen Anwalt oder der eigenen Anwältin bei Gericht geltend zu machen.
Aus diesem Grund bat der ÖSB die Justizministerin um ein Gespräch, das am 28. Mai 2025 stattfand. Bundesministerin Dr.in Anna Sporrer zeigte darin volles Verständnis für das Anliegen des ÖSB und sagte eine entsprechende Berücksichtigung des Anliegens bei nächster Gelegenheit zu, d.h. wenn eine Novellierung der Strafprozessordnung und Zivilprozessordnung und anderer Verfahrensgesetze ansteht. Gerade für benachteiligte Gruppen sei eine eindeutige Gesetzeslage, die ihnen Mut macht und die Sicherheit gibt, ihre Rechte erfolgreich geltend machen zu können, wichtig. Zwischenzeitig sollten aber schon jetzt die geltenden Möglichkeiten von den Betroffenen ausgeschöpft werden.
* Beitrag von Dr.in Marlies Meyer
Das Gespräch mit Dr.in Anna Sporrer, Bundesministerin für Justiz, führten seitens des ÖSB Mag.a Brigitte Slamanig, Renate Welter und Dr.in Marlies Meyer. Schriftdolmetscherin: Gudrun Amtmann.
Am Foto von links nach rechts: Welter, Dr.in Meyer, Dr.in Sporrer, Mag.a Slamanig